Was ist Lyrik?
Fangen wir mit einer Begriffsdefinition an. Das uns allen bekannte Wort „Lyrik“ stammt aus dem Altgriechischen lyrike (poiesis). Damit sind zunächst alle Werke gemeint, die in Versform gedichtet wurden und werden. Neben der Epik und der Dramatik stellt Lyrik die dritte literarische Gattung dar. Seit der Antike ist diese Form des sprachlichen Ausdrucks weltweit zu finden.
Besser bekannt ist uns die Lyrik als Gedicht. Wer es traditioneller mag, kann auch Poem oder Poesie sagen. Jeder von uns hat in der Schule mit Sicherheit mehr als ein Gedicht gelesen bzw. lesen müssen. Deshalb dürfte auch jeder wissen, was ein Poem so besonders macht. Nämlich die o.g. Versform, die in Strophen eingebettet ist. Diese haben meist die Eigenschaft, dass sich die Zeilen reimen.
Ergo hat ein Gedicht – sofern es/sie nicht moderne und zeitgenössische Lyrik ist – ein Reimschema. Hier kann es sich zum Beispiel um Paarreime handeln (aa, bb, cc), um Kreuzreime (ab, ab) einen Kettenreim (aba, bcb, cdc) oder auch eine Assonanz, sprich, kein kohärentes Reimschema. Des Weiteren werden lyrische Werke vom Metrum oder Versmaß bestimmt.
Dieses zu erkennen und zu benennen, kann etwas komplizierter ausfallen, als die Benennung des vorliegenden Reimschemas. Nehmen wir aber diese „Zutaten“ und ergänzen diese mit diversen Stilmitteln, z.B. einer Alliteration, einem Oxymoron oder einer Metapher, haben wir ein klassisches Gedicht. Was Lyrik noch auszeichnet und welche Vertreter es gab und gibt, erklärt dieser Beitrag.
Und noch ein Gedicht – Ursprünge, Merkmale und Verbreitung von Lyrik
Wie so vieles, was unsere heutige Gesellschaft geprägt hat, stammt auch die Lyrik aus dem antiken Griechenland. Traditionellerweise wurden die Gedichte mit einem Musikinstrument begleitet, der sog. Lyra (daher auch der Name). Die Beliebtheit dieser Literaturgattung endete zum Glück nicht mit dem Untergang des griechischen und des römischen Reiches, sondern dauert bis heute an.
Auch im Mittelalter war diese Form des sprachlichen Ausdrucks sehr beliebt. Seit dem Ende des 11. Jahrhunderts verbreiteten die Troubadoure aus der Provence die Dichtung. In Deutschland waren es Minnesänger wie Walther von der Vogelweide, die ihre Gedanken und Gefühle in Versform festhielten. Mittelalterliche Lyrik wurde in erster Linie gesungen und mündlich tradiert und weitergegeben.
Doch was genau zeichnet ein Gedicht in Form und Inhalt aus? Die wichtigsten Merkmale:
- Es werden rhetorische Figuren und Stilmittel verwendet
- Sie sind kürzer als z.B. Epik und besitzen eine hohe semantische Dichte
- Sie sind aus Strophen/Versen aufgebaut, die mindestens ein Reimschema besitzen
- Sie können über ein sog. „Lyrisches Ich“ verfügen, was das Gedicht subjektiv macht
Waren Vers, Versmaß und Strophenbau in Antike und Mittelalter noch notwendig, um ein Werk zu einem Gedicht zu machen und es von der Prosa abzuheben, verloren diese Charakteristika mit der Zeit an Bedeutung. Wussten Sie, dass schon Goethe teils auf Reime verzichtete und stattdessen auf freie Rhythmen setzte? Und dass dieser „freie Vers“ sich damit der Prosa annäherte?
Lyrik, Gedicht, Poesie – Formaspekte
Noch einmal zurück zur klassischen Lyrik. Neben den o.g. Aspekten werden Gedichte bezüglich der sprachlichen Gestaltung in unterschiedliche Kategorien unterteilt. Neben dem Versmaß (Alexandriner, Hexameter, Pentameter etc.) spielt der Versfuß eine wichtige Rolle. Dazu zählen der Anapäst, der Daktylus, der Jambus und der Trachäus. Auch die Strophenform (z.B. Stanzen) tritt in Varianten auf.
Übrigens: Auch die Gattung „Gedicht“ lässt sich in verschiedene Genres und Subgenres unterteilen:
- Es gibt Balladen und Elegien, Hymnen und Oden
- Es gibt Kettengedichte, die v.a. in Japan zu finden sind
- Wer Shakespeare kennt, kennt auch Sonette und Liebeslyrik
- In der modernen Lyrik finden wir Confessional Poetry und Dinggedichte
Ein Gedicht ist also nicht gleich ein Gedicht. Nehmen wir beispielsweise die Ballade. Jeder hat das Wort schon gehört. Aber was versteckt sich dahinter? Balladen gehören zur bekanntesten Lyrikform. Hierbei handelt es sich um ein mehrstrophiges Gedicht, inkl. Versen, Strophen, Reimen und Metrum, das eine Geschichte dialogisch erzählt. Idealerweise endet diese Geschichte in einer Pointe. Des Weiteren:
- Ist der Inhalt in Deutschland meist dramatischer Natur
- Entwickelte sie sich vom Tanzlied zu einem erzählenden Gedicht
- Stammt diese Gedichtform ursprünglich aus Südfrankreich (okzitanisch)
- Zählen u.a. Der Erlkönig, Der Zauberlehrling und die Bürgschaft zu den Balladen
Lyrik in Europa – eine kleine Zeit- und Raumreise
Ein deutscher Lyriker … ist oft nur in Deutschland bekannt. Beschränken wir uns hier aber „nur“ auf Europa – schließlich ist das ja die Wiege der Dichtung. Bereits lange, bevor sich Goethe, Schiller, Heine & Co. einen Platz in den Geschichts- und Literaturbüchern sicherten, gab es Lyrik bereits in anderen europäischen Ländern.
Vorreiter waren nach Frankreich (Troubadoure) vor allem Italien und England. Zu den bekanntesten Werken zählen auf italienischer Seite u.a. Dante Alighieris Divina Comédia oder Göttliche Komödie. Gehen wir weiter in den Norden, kommen wir nach England. Hier legte Geoffrey Chaucer im 14. Jahrhundert den Grundstein für die englische Dichtung. Das Besondere: Sie war in Englisch verfasst.
Weitaus bekannter noch als seine Canterbury Tales ist William Shakespeare, der im 16. und 17. Jahrhundert seine heute weltweit bekannten und aufgeführten Stücke (u.a. Romeo & Julia und Macbeth verfasste. Bei Shakespeare begegnen wir zudem einigen stilistischen Besonderheiten, die bis dato in Nordeuropa noch nicht in lyrischen Werken zu finden waren. Dazu zählen unter anderem:
- Ein breitgefächertes Sprachniveau, von „ganz unten“ nach „ganz oben“
- Der jambische Hexameter, endbetonte Fünfheber mit Paarreim
- Der vielfältige Einsatz einer Bildersprache (Imagery)
- Die Erfindung neuer Wörter, wenn nötig
Lyrische Werke und Dichter in Deutschland – von Goethe bis Brecht
Shakespeare mag ein englischer Dichter gewesen sein. Sein Einfluss reichte aber bis weit über die Landesgrenzen hinaus. Vor allem in der Weimarer Klassik erfreute er sich einer (zweiten) Renaissance. Beeinflusst von seinen Dramen und Sonetten waren u.a. Johann Wolfgang von Goethe, Friedrich Schiller und Johann Gottfried Herder. Ihnen verdanken wir auch die ersten Übersetzungen.
Wie eingangs bereits erwähnt, erfuhr die Lyrik unter diesen deutschen Dichtern einige Änderungen. Goethe war es, der in einigen seiner Werke auf ein durchgehendes Reimschema und Metrum verzichtete. Stattdessen ließ er sog. „freie Verse“ in seine Stücke miteinfließen. Neben Goethe prägte vor allem Schiller die deutschen Lyriker. Zu ihren bekanntesten Werken zählen wohl Faust und Die Räuber.
Lyrik hat sich im Laufe der Zeit weiter gewandelt. Inzwischen sprechen wir von moderner Dichtung oder zeitgenössischer Lyrik. Diese unterscheidet sich nicht nur in ihrer äußeren Form, sondern auch im Inhalt von der klassischen Poesie. Unter anderem „verdanken“ wir dies zwei Weltkriegen und der sog. Exilliteratur. Dichtung wurde zum Medium, um Traumata und politische Ansichten zu verarbeiten:
- Dabei ist zeitgenössische Lyrik nicht unbedingt in Strophen unterteilt
- Wird häufig komplett auf ein Reimschema und ein Versmaß verzichtet
- Finden wir hier eine Vielzahl von rhetorischen Stilmitteln und Stilbrüchen
- Kommen hier agrammatische Satzstrukturen, exkl. Haupt- und Nebensätzen, zum Einsatz
Zeitgenössische Dichtkunst – Dichtung auf den Kopf gestellt
Diese Charakteristika machen es für uns als Leser oft schwer, den Worten und Zeilen zu folgen. Oftmals erscheinen diese Poeme abgehackt, lieblos und kompliziert. Dabei unterstreicht diese Art der Lyrik aber deutlicher die Inhalte der Werke. Es ist nur schwer vorstellbar, dass ein Gedicht zum Krieg den Aufbau eines Liebesgedichtes oder Sonettes hat, oder? Statt sich also zu verklausulieren:
- Werden unlyrische Sprachelemente verwendet, z.B. Fachjargon
- Werden wenige Wörter benötigt, um die Message zu transportieren
- Auf Satzbrüche gesetzt, die eine mögliche Sprachmelodie zunichtemachen
- Werden Dinge mit einer neuen Bildsprache versehen und so schwerer (be)greifbar
Somit verhält es sich mit moderner Lyrik wie mit abstrakter Malerei oder der Zwölftonmusik. Dinge werden auf der einen Seite komplexer dargestellt, auf der anderen Seite so, dass wir mehr nachdenken müssen, um zu erkenne, worum es eigentlich geht. Anstatt sich in Gefühlsduselei zu verlieren, ist zeitgenössische Dichtung sachlich und nüchtern – und deshalb umso erschütternder:
- Unpersönlich ist in der Moderne das neue Persönlich
- Alltägliche Sujets werden hier auf facettenreiche Art und Weise dargestellt
- Eine Realität wird wiedergegeben, die kaum durchschaubar scheint und komplex ist
- Alltagsthemen werden nicht beschönigt, sondern nüchtern und realistisch abgebildet
Falls Sie noch mehr zum Thema „Lyrik“ erfahren möchten und falls es nicht immer Goethe & Co. sein muss, laden wir Sie ein, auf den folgenden Seite zu stöbern. Hier finden Sie zeitgenössische Lyrik, die zum Verweilen und Nachdenken anregt. Weitere Inspirationen finden Sie hier